Medizinprodukte – ein unterentwickeltes ökologisches Handlungsfeld

Wie umweltverträglich sind deutsche Krankenhäuser? Zeitversetzt zu Bemühungen in anderen Wirtschaftssektoren gab es in den 90er Jahren Ansätze für den Aufbau einer alle Bereiche integrierenden umweltorientierten Krankenhausbetriebsführung. Über die Umsetzung rechtlicher Vorgaben und singuläre Ansätze bei Ver- und Entsorgung sind diese Bemühungen selten hinausgekommen. Gewiss, es gibt Abfalltrennung, Portionierungen in der Küche und gelegentlich finden wir auf deutschen Klinikdächern eine Solaranlage und im Heizraum ein BHKW. Sowohl das Abfallaufkommen wie auch der Energie- und der mit 500 bis 1000 l pro Planbett und Tag sehr hohe Wasserverbrauch sind recht gut dokumentiert. Immerhin. Der Medizinbetrieb im engeren Sinne ist jedoch ökologisch immer noch erheblich unterbelichtet.

Beachtliche ökologische Relevanz

In den rd. 2.240 Krankenhäusern mit ihren 1,1 Mio. Beschäftigten fielen im Jahr 2000 167 Mio. Pflegetage an. Die Gesamtkosten je Pflegetag lagen bei rd. 317 €. Davon entfielen ca. 51,4 € auf den medizinischen Bedarf. Dies ergibt einen Jahreswert von fast 8,6 Mrd. €. Über 300 verschiedene Hersteller beliefern deutsche Krankenhäuser mit Spritzen, OP-Hauben, Laken, Kathetern, Infusionsflaschen, Elektroden, Naht-Material usw. Der Stoffstrom hinter diesem Produkteinsatz liegt im Millionen-Tonnen-Bereich. Auch die am Ende entstehenden Abfallmengen sind beachtlich. Pro Tag und Bett sind es knapp 2 kg. Nicht zu vergessen sind die Unmengen an ökotoxischen Stoffen, die über die Systeme von Atemluft, Abwasser und Abfall entsorgt werden.

Seitens der Anbieter wie der Nachfrager gibt es bislang keine Notwendigkeit, Umweltwirkungen zu beleuchten und die gewonnenen Erkenntnisse bei Entscheidungen angemessen zu berücksichtigen. Es fehlen zentrale Voraussetzungen. So haben Umweltbewegung und kritische Öffentlichkeit bislang wenig Interesse entwickelt, sich des Themas anzunehmen. Fehlanzeige auch bei den gesetzlichen Grundlagen für den Einsatz von Materialien im Medizinbereich. Das entscheidende Regelwerk bildet innerhalb der EU die Medical Device Directive (93/42/EU). In deutsches Recht umgesetzt wurde sie über das Medizinproduktegesetz vom 02.08.1994 in der mittlerweile vorliegenden Neufassung vom 20.08.2002 (BGBl. Nr. 58/2002). Das Gesetz regelt Aspekte von Produktsicherheit und Produktqualität, trifft zu Umweltwirkungen jedoch keine Aussagen. Dass bislang kaum ein Krankenhaus seine Einkaufsentscheidungen unter Berücksichtigung ökologischer Kriterien trifft, kann daher kaum verwundern. Entscheidend sind der Preis, die Qualität entlang bestimmter Kriterien (Keimfreiheit, mechanische Belastbarkeit, chemische Widerstandsfähigkeit…) und die praktische Handhabbarkeit der Produkte.

Projekt „Kooperation Ökologische Produktbewertung“

Die Hamburger Krankenhausgesellschaft hat vor diesem Hintergrund in der Kooperation mit rd. 65 Krankenhäusern aus dem gesamten Bundesgebiet und der LBK Hamburg (Landesbetrieb Krankenhäuser) das Projekt „Kooperation ökologische Produktbewertung“ durchgeführt. Gegenstand des 1999 angelaufenen und auf 3 Jahre angelegten Projektes war die Beschreibung und Bewertung von Medizinprodukten nach einem festgelegten Schema, bei dem das ökologische Profil neben Qualitätsgesichtspunkten in eine Relation zum Preis gebracht wird. Dies mit der Zielstellung, eine im Krankenhausalltag leicht einsetzbare Methode zu entwickeln, die es den Umweltbeauftragten erlaubt, die Umweltverträglichkeit von Produktalternativen zu beurteilen.

Die Untersuchung erfuhr während der Durchführung eine wesentliche Veränderung durch die Aufteilung in die beiden Abschnitte:

  • Bewertung von Medizinprodukten und
  • Ökoprofile von Medizinprodukten

Da sich die Krankenhäuser nicht in der Lage sahen, die Gesamtpalette der zum Einsatz kommenden Medizinprodukte einer Bewertung zu unterziehen, wurde die Herstellerseite im Laufe des Projektes mit einbezogen. Grundlage war ein „Letter auf Intend“, der Krankenhäuser und Medizinproduktehersteller dazu verpflichtete, bis zum Abschluss des Projektes zusammen zu arbeiten.

Kein direkter Zusammenhang zwischen Ökoprofil, Preis und Qualität

Das Projekt betrachtete Umweltschutzgesichtspunkte nicht losgelöst von den sonstigen Merkmalen, über die die Produktqualität traditionell bewertet wird. Die Umwelteigenschaften – sie wurden mit einer Gewichtung zwischen 5 und 30 Prozent berücksichtigt – treten vielmehr hinzu zu den Kriterien Hygiene, Gebrauchstauglichkeit und Arbeitssicherheit. Als K.O-Kriterien wurde die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen (Medizinproduktegesetz) und verschiedener Leitlinien etwa zur Hygiene bestimmt.

Die vorgenommenen Bewertungen – sie liegen für die Öffentlichkeit nur in anonymisierter Form vor – ergaben eine erhebliche Varianz bei den Umwelteigenschaften von Produkten für gleiche Anwendungen. Gleiches gilt für Preise und sonstige Produktqualitäten. Interessant dabei: Ein direkter Zusammenhang zwischen ökologischer Qualität, allgemeiner Produktqualität und Preis konnte nicht festgestellt werden.

Umsetzungsstrategien stehen noch am Anfang

Nach Einschätzung der Projektverantwortlichen ermöglicht die erprobte Bewertungsmethode qualifizierte Produktentscheidungen unter Einbezug ökologischer Eigenschaften. Wie die Methodik im Einkaufsprozess von Krankenhäusern verankert werden kann, ob für eine breite Palette von Produkten oder nur für einige herausgehobene Einsatzbereiche, ist offen. Die am Projekt beteiligten Partnerkrankenhäuser und Hersteller wollen sich auf der Linie des in der EU-Kommission diskutierten „Grünbuchs zur integrierten Produktpolitik“ bewegen. Bis zur Implementation in den deutschen Krankenhausalltag sei es jedoch noch ein langer Weg.

Problemzonen

Da weder methodische Details noch Einzelergebnisse der breiten Öffentlichkeit zugänglich sind, bieten sich wenig Anhaltspunkte für eine kritische Bewertung. Eines der Probleme ergibt sich jedoch schon aus dem Umstand, dass unabhängige Bewertungen nicht vorgesehen sind. Es wird darauf vertraut, dass die Hersteller nicht nur Ökodaten zu ihren Produkten liefern, sondern perspektivisch auch den größten Teil der Bewertung vornehmen. Hinsichtlich der Brauchbarkeit dieser Bewertungen sind Zweifel angebracht. Der Einsatz von Hart- und Weich-PVC für unterschiedliche Einsatzgebiete (Blut-, Fusions-, Dialyse-, Sekret- und Urinbeutel, Schlauchsysteme, Katheter, .Abdeckvorrichtungen…) liefert hierfür ein gutes Beispiel. Den gut erforschten problematischen Umwelteigenschaften von PVC steht gegenüber, dass das Material medizinische Anforderungen von der Biokompatibilität über die Keimfreiheit bis zur mechanischen Belastbarkeit gut erfüllt. Die Hersteller gewichten dies entsprechend hoch und verniedlichen gleichzeitig die problematischen Umweltwirkungen. Dies gilt bei etablierten Produkten, wo mittlerweile in fast allen Segmenten Alternativen bereit stehen. Erst recht ist bei Produktinnovationen zu befürchten, dass die Bewertung firmenseitig als Marketinggeschäft betrieben wird. Die ökologische Unterbelichtung des Medizinbetrieb würde sich so nicht lichten lassen.

Cornelia Heintze

Nähere Informationen zum Projekt „Kooperation Ökologische Produktbewertung von Medizinprodukten“ sind bei der Projektkoordinationsstelle Hamburgische Krankenhausgesellschaft e.V. erhältlich: Grevenweg 89, fon: 040/251 73 60; fax: 040/25173640; Kontkataufnahme unter: http://www.hkgev.de/koep/seiten/kontakt.htm